Mit Schrittgeschwindigkeit durch die Brandung

Unser Foto des Monats nimmt uns im Dezember mit auf eine Zeitreise in das 19. Jahrhundert, ein Jahrhundert der Erfinder. Zahlreiche zukunftsweisende Erfindungen dieser Zeit prägen unser Leben bis heute, darunter das Telefon, das Fahrrad, die Fotokamera – nicht zuletzt natürlich das erste Automobil von Carl Benz und Thomas Alva Edisons Glühlampe. Doch mindestens genauso viele Erfindungen dieses innovativen Jahrhunderts verschwanden früher oder später wieder, weil sie von neuer Technik abgelöst wurden oder auch schlicht unpraktikabel waren. Ein Beispiel für letzteres, eine einzigartige Anlage, von der heute nicht mehr als ein paar alte Schwarz-Weiß-Fotografien und einige Betonblöcke an der Küste Englands existieren, stellen wir Euch heute vor!

Daddy Longlegs

Magnus Volk, der britische Sohn eines deutschen Uhrmachers, war ein Pionier der Elektrotechnik. Sein „Volk’s Electric Railway“ in seiner Heimat, dem britischen Seebad Brighton, ist heute die älteste elektrische Eisenbahn der Welt, die immer noch in Betrieb ist. Eine andere Version seiner elektrischen Eisenbahnen hingegen musste ihren Betrieb bereits nach vier Jahren wieder einstellen. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine gewöhnliche Eisenbahn: Ihre Schienen waren unter der Meeresoberfläche, bis zu 80 Meter vor der Küste, verlegt. Die Passagiere wurden, je nach Wasserstand, bis zu sieben Meter über dem Wasser mit dem auf einer Metallkonstruktion stehenden Wagen chauffiert. Im November 1896 wurde die Meer-Eisenbahn feierlich eröffnet, jedoch bereits weniger als eine Woche später durch einen Sturm wieder zerstört, daraufhin repariert und im Juli des Folgejahres erneut in Betrieb genommen.

Daddy Longlegs

Achtung, Zug fährt ein! (Foto: Royal Pavilion and Museums, Brighton&Hove )

Volk taufte sie auf den Namen „Pioneer“. Die Einwohner der Stadt Brighton und des Dorfes Rottingdean, welche durch die Pioneer verbunden wurden, gaben ihr aber bereits nach kurzer Zeit einen anderen Namen: Durch die Unterkonstruktion mit ihren langen Stelzen, auf denen der „Waggon“ sich durch das Wasser bewegte, fühlten sie sich an Weberknechte und andere Spinnentiere erinnert, sodass sie das Gefährt „Daddy Longlegs“ nannten. Betrieben wurde die Anlage durch eine Oberleitung, die jedoch gerade so viel Strom lieferte, dass sich Daddy Longlegs bei starkem Wasserwiderstand mit Schrittgeschwindigkeit zwischen den Seebädern bewegen konnte, und dies auch nur bei gutem Wetter. Die fünf Kilometer lange Fahrt dauerte so in der Regel ganze 35 Minuten.

Daddy Longlegs

Posieren für das Gruppenbild bei Flut (Foto: Royal Pavilion and Museums, Brighton&Hove )

Ein schnelles Ende für den Weberknecht

Bereits vier Jahre später stellte die außergewöhnliche Meeres-Schienenbahn ihren Betrieb wieder ein. Hauptgrund war der Plan des Stadtrates, in Brighton eine Strandschutzbarriere zu errichten. Dies hätte dazu geführt, dass Volk die Schienen seiner Pioneer noch weiter von der Küste entfernt ins Meer hätte verlegen müssen. Fehlende finanzielle Mittel und vielleicht auch die Ahnung, dass die Konstruktion auf Dauer weder den Umwelt-Einflüssen noch dem technischen Fortschritt hätte Stand halten können, führten dazu, dass der Betrieb 1901 eingestellt wurde und im Jahre 1910 endgültig sämtliche Teile des Wagens und der Schienen verschrottet wurden. Lediglich einige Betonblöcke, die der Befestigung der Schienen dienten, werden bei Ebbe heute noch sichtbar. Dies verhinderte jedoch nicht, dass nach seiner Schließung ein regelrechter Hype um Daddy Longlegs entstand. Die Fotos des Wagens sind bis heute ein beliebtes Postkartenmotiv in und um Brighton. Bereits nach wenigen Jahren war Daddy Longlegs somit das, was es auch heute noch für uns ist: Eine surreale Erinnerung an die Blütezeit des industriellen Fortschritts und der kuriosen Erfindungen.

Daddy Longlegs

Das Original-Werbeplakat für „Daddy Long Legs“ (Foto: Royal Pavilion and Museums, Brighton&Hove )

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